Ein neuer Ort der Mahnung

Zur Namensgebung des Max-Beermann-Platzes in Heilbronn

Eine Würdigung von Günter Spengler

Ob Bezirksrabbiner Dr. Max Beermann sich über diesen Platz freuen würde? Ich stelle mir einen Besuch in seiner Wohnung in der oberen Schillerstraße vor: Die Wände seines Arbeitszimmers sind voller Bücher: Rabbinische Fachbücher natürlich, aber ebenso viel deutschsprachige Literatur: Imanuel Kant, Friedrich Nietzsche, Wolfgang von Goethe und natürlich Ludwig Uhland, der begabteste Lyriker des Schwäbischen Dichterkreises. In seinem Arbeitszimmer finden sich auch Uhlands freiheitliche politische Schriften mit vielen Anstreichungen. Max Beermann würde sich sehr freuen, jetzt auch im Stadtbild so eng mit Uhland verbunden zu sein: Auf seinen Platz mündet Uhlands Straße.

Andererseits mochte Max Beermann gar nicht im Zentrum stehen. Er war eine Seele von Mensch, liebenswürdig und fürsorglich. Er liebte Heilbronn und seine Bürger; deshalb lebte und arbeitete er hier von 1915 bis 1935 – zwanzig Jahre. Er war ein gebürtiger Berliner; studierte in Berlin, erwarb den Doktor der Philosophie in Gießen und sein Rabbinerdiplom in Berlin. Er war ein Theologe mit „Leib und Seele“: rabbinische Lehr-entscheidungen und Austausch mit Christen, Diskussionen mit Lehrern und Schülern in den Heilbronner Schulen und im Lehrerseminar, Predigten in der Synagoge und Vorträge in der Harmonie – und dann die vielen, vielen Zeitungsartikel im ganzen Deutschen Reich.

Max Beermann war viel in den Heilbronner Straßen unterwegs: Er besuchte Juden und Nichtjuden, denen die Lage in den gar nicht „Goldenen 20ger Jahren zusetzte: Er war bei Schwerkranken und ihren Angehörigen, bei Suchtkranken und Strafgefangenen, bei völlig Verarmten und Wohnungslosen – die Fürsorge für die vielen Menschen ganz am Rand war ihm Herzensangelegenheit; hier wurde jüdischer Glaube an den barmherzigen Gott konkret. Glaube muß Hand und Fuß haben, konkret und mitmenschlich sein.

Max Beermann wohnte in der Schillerstraße, oberhalb des Alten Friedhofes, direkt neben Luise Heilbronner, nach der die „Luise Bronner Realschule“ benannt ist. Zur Familie Beer-mann gehörte seine Ehefrau Recha und die beiden Töchter Ruth und Elisabeth. Leider wissen wir über die Familie sehr wenig.

Rabbiner Max Beermann war im Judentum verwurzelt und bezog von da seine Orientierung und seine Kraft. Ebenso verwurzelt war er in der deutschsprachigen Kultur. Das kulturelle Leben im damaligen Heilbronn ist ohne Dr. Max Beermann gar nicht vorstellbar: Für die großen Dichter- und Philosophenjubiläen wurde er als Festredner angefragt. Vorträge hielt er vor jüdischem und christlichem Publikum. Zusammen mit Christian Leichtle baute er die Volkshochschule auf und war einer der eifrigsten Dozenten.

Max Beermann ist 1935 im Alter von 63 Jahren gestorben; „an gebrochenem Herzen“ schrieb seine Tochter Ruth. Die Nationalsozialisten hatten es anfangs nicht einfach in Heilbronn, aber sie setzten sich immer mehr durch. Zusammen mit seinem Freund, dem Rechtsanwalt Dr. Siegfried Gumbel, kämpfte Beermann gegen den braunen Ungeist – aber alles, was ihm wichtig war, ging durch diesen Kulturzusammenbruch unter: Am 1. April 1933 wurden jüdische Geschäfte und Wohnungen verwüstet – ein Auftakt brutaler Gewalt. Im Mai 1933 wurden in allen Universitätsstädten Bücher deutschprachiger Literatur und Philosophie verbrannt. Freunde und Kollegen wechselten in der Stadt die Straßenseite. Die Volkshochschule wurde ab 1934 der NS-Ideologie unterstellt – Philosophie und Religion aus den Semesterplänen gestrichen. Max Beermanns Welt ging unter. Nachdem

seine Frau Ruth 1932 gestorben war, starb er selbst 1935. Er wurde unter großer jüdischer Anteilnahme in Heilbronn beerdigt.

Dieser Platz erinnert uns Heilbronner nun an Max Beermann, der tief verwoben war mit dem hiesigen Leben. Ich stelle mir vor, was er gemacht hätte, wenn er in den letzten Wochen bei uns gewesen wäre: Er hätte mit der jüdischen Gemeinde das Schawuotfest, das Erntedank- und Bundesfest gefeiert – mit Gottesdiensten und Kiddusch. Er wäre gern zur Wiedereinweihung der Nikolaikirche gekommen und hätte ein herzliches Grußwort gebracht. Er hätte auch einen eindringlichen Artikel für die „Heilbronner Stimme“ geschrie-ben zu der Veranstaltung auf dem Kiliansplatz gegen Wohnungsnot und explodierende Mietpreise. Und er hätte unterwegs mit vielen gesprochen, die Corona ängstigt und zermürbt und hätte sie bestärkt zu einem festen Gottvertrauen und in einem fürsorglichen Umgang miteinander – denn so war er: Max Beermann.

Günter Spengler

Heilbronn, 30. Juni 2021

sh. dazu auch den Beitrag unter „Pressestimmen“ vom 1.7.2021

sh. auch die Veranstaltung „Leben im Untergang“ rund um den Max-Beermann-Platz am 20.7.2021

veröffentlicht von Freundeskreis